Rezension: Not Giving A Fuck (Beate Absalon)
Worum geht es?
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Sex eine zentrale Rolle spielt. Das ist der Ausgangspunkt für die Frage: Muss das so sein? Und: Was, wenn dem nicht so wäre? Welche Formen des Sex-Dezentrierens gibt es? Was macht unser sexuelles Kapital mit uns und was machen wir mit ihm? Wie können wir uns all diesen Normen rund um Sex(ualität/en) entgegenstellen oder verweigern?

Bildbeschreibung:
Eine stilisierte Figur, die ein Mensch sein könnte mit türkisblauen Haaren, die zeitgleich den Hintergrund darstellen, einem rosafarbenen Gesicht und Schal, der sich um die Figur und über die Breite des Covers schlängelt, einem hellgrünen Oberteil und einer grünen Hose. Darauf steht: Beate Absalon – Not Giving A Fuck. Ganz unten in einem weißen Kasten stehen der Verlag (V&S), der Untertitel (von lustlosem Sex & sexloser Lust: Gesellschaftlichen Zwang überwinden & lebendige Intimität finden) und die Reihe, in der das Buch erschienen ist (Um/Welt Nr. 5)
Überblick
Beate Absalon stellt die Frage, welchen Wert wir (als Gesellschaft, als Individuen) Sex beimessen und warum.
Themen sind unter anderem sexuelles Kapital und Sex als (Teil eines) Machtsystem(s), Sexneutralität, Compulsory Sexuality aka Zwangssexualität, Formen der Verweigerung von Sex(ualitätsnormen) und die vielen Möglichkeiten von Sex(ualität), denen Normen im Weg stehen.
Das Kapitel "Über Sexualität hinaus, über Asexualität hinaus" hat uns wegen des Titels besonders interessiert.
Tatsächlich werden Asexualität und angrenzende Konzepte, Begriffe und Formen des (Nicht-)Sexuellen im ganzen Buch thematisiert und mitgedacht.
Die Liste, von konkreteren Begriffen, erstreckt sich über drei Seiten, ist also sehr ausführlich!
Was uns gefällt
Die Sprache ist sehr abwechslungsreich und das Buch findet schnell einen angenehmen Gesprächston. Dabei helfen poetische Erzählungen, persönliche Notizen, theore-tisch-wissenschaftliche Gedankenführung und alltagssprachliche Ausdrücke wie 'big deal'. Zitate werden durchweg auf Deutsch übersetzt und bei einem sensiblen Thema wurde eine Content Note angefügt.
Außerdem werden Publikationen und Personen, die wir aus aktuellem ace Aktivismus und Wissenschaft kennen, zitiert – z.B. Sherronda J. Brown, Ela Przybylo und Kristina Gupta.
Das Buch ist vollgepackt mit vielen verschiedenen queerfeministischen Ansätzen, Verweisen, Theorien und Gedanken, ohne dabei unverständlich zu werden. Mit viel Nuance reflektiert der Text Sex, Sexualität und den Umgang damit in verschiedenen Kontexten und gibt eine Unmenge kreativer Anschauungsbeispiele.
Absalon macht sich dafür stark, dass die Vielfalt von Sexualität und damit auch Formen des (Nicht-)Sexuellen Anerkennung erfahren sollen,ohne dass dadurch neue Normen (re)produziert werden.
In dem Sinne plädiert sie dafür, veraltete Vorschriften und Normen nicht einfach durch neue, dem gegenüberstehende Normen zu ersetzen, sondern sie gänzlich zu überwinden.
Generell fanden wir das Buch sehr erfrischend in einer Welt voller Bücher, die Sex zwar reflektieren wollen, sich dabei aber nicht trauen zuzugestehen, dass kein Sex auch einfach eine Lösung sein kann.
Was uns nicht gefällt
Manchmal ist die Sprache so bildlich, dass wir nicht mehr ganz folgen konnten.
Im gesamten Buch werden unterschiedliche Zugänge zu Geschlecht(ern) stets mitgedacht – umso mehr ist uns vor diesem sehr positiven Hintergrund negativ aufgefallen, dass die Schreibweise "Transperson" (S. 175) und der Begriff "Autorin" für di*en gender queere*n Autor*in Sherronda J. Brown verwendet wurden (S. 136).
Der Begriff sexpositiv wird unserer Meinung nach nicht ausreichend eingeordnet bzw. wird eher nur in seiner Bedeutung als 'Sex = positiv = gut und darum sollten wir alle freien und tollen Sex haben' vorgestellt. Für uns hat das stellenweise zu Verständnis-schwierigkeiten geführt, z.B.: "Asexuelle Menschen können Sex abstoßend finden, ihn als etwas Neutrales auffassen, und ebenso gibt es sexpositive Asexuelle." (S. 140) Begriffe wie sex favorable oder sex indifferent hätten hier helfen können.
Für wen könnte das Buch was sein?
Wer gerne mehr und nuanciert über (Nicht-)Sexualität und guten, schlechten, langweiligen, intimen, unpersönlichen, erfüllenden, (un)körperlichen, kreativen etc. Sex lesen möchte, wird hier fündig. Wer Bücher wie "Das Ende des Romantikdiktats" oder "Kapitalismus entlieben" mag, wird auch dieses Buch mit Interesse lesen – und wer unser Buch mag und sich einen weiteren Blick auf die Gesellschaft statt einen Fokus auf Asexualität wünscht, wird hier sicherlich auch fündig.
Für Transparenz:
Wir haben ein kostenloses Rezensionsexemplar von "Not Giving A Fuck" erhalten.