Was ist das Problem mit „1% der Menschen sind asexuell“?

17.11.2021

CN: Pathologisierung, Medikalisierung


Kleiner rant-Thread über die 1%-Statistik, die irgendwie immer noch mit Asexualität verknüpft wird.

Spoiler: Lasst es. Und wenn ihr seht, dass jemensch das unreflektiert reproduziert, verlinkt gerne diesen Thread (tempted, einen threat draus zu machen).

Die "1% der Menschen sind asexuell"-Zahl ist im Kontext einer britischen statistischen Erhebung aus dem Jahr 1994 entstanden, die später von Anthony Bogaert ausgewertet wurde und kommt damit aus der Sexualwissenschaft. Sexualwissenschaft ist (v.a. historisch betrachtet) nicht unser Freund, weil wir nämlich zu großen Teilen da sind wo wir sind *durch* sexualwissenschaftliche Pathologisierung und Medikalisierung von Sexualität generell und Asexualität im Besonderen. Bogaert *especially* ist nicht unser Freund, denn er impliziert(e), dass eine Person nicht asexuell sein kann, wenn ihre Asexualität zB durch Behinderung, Trauma, Krankheit etc. 'erklärt' werden kann - egal, was eine Person über sich selbst sagt.

1994 war vor 27 Jahren. Zu der Zeit gab es noch viel weniger Bewusstsein über Asexualität als heute. Gut, sagt ihr, die Umfrage hat nicht gefragt 'Bist du asexuell' sondern als Antwortmöglichkeit gegeben 'Habe nie sexuelle Anziehung zu jemensch gefühlt'. Für diese Antwort ist das Wissen über Asexualität als sexuelle Orientierung nicht zwingend nötig. Except doch, denn ohne dieses Wissen werden sich sehr viele Menschen nicht tatsächlich verstanden haben, weil ihr Erleben außerhalb ihres möglichen Erkenntnisbereichs war. Wenn du nicht weißt, dass Asexualität ein Ding ist (egal, ob und wie du es benennst), dann redest du dir eher ein, "natürlich" attraction zu empfinden oder hast Angst, die Frage wahrheitsgetreu zu beantworten etc.

Zudem bedeutet Asexualität nicht, niemals sexuelle Anziehung zu empfinden. Das kann es individuell bedeuten, aber wer Asexualität nur darüber definiert, ist halt gatekeepy & shitty. Die Zahl ist also auf mehreren Ebenen verfälscht & repräsentiert keine aktuellen ~hard facts~

Btw: Auf Basis der Umfrage ließe sich zB auch auswerten, dass 1,11% der Menschen homosexuell sind. Mit dieser Zahl wirft auch niemensch um sich. Und das ist gut so, denn sie ist veraltet, verfälscht und IRRELEVANT.

Denn: Selbst wenn 1% aller Menschen asexuell wären! Was, wenn es 0,5% wären? Wenn es 0,1% wären? Diese Zahlen sind irrelevant, weil jeder Mensch Respekt verdient, und zwar ungeachtet dessen, wie vielen anderen Menschen es ähnlich geht. Argumente à la "Wir sind halt so viele wie rothaarige Menschen" gehen ganz schnell in die Richtung, einen Anspruch auf Rechte auf sehr dünnem Eis zu rechtfertigen - "Wir sind ja *genug* Leute, um dafür kämpfen zu *dürfen*, nicht diskriminiert zu werden".

Es ist verständlich, dass die 1%-Zahl verführerisch ist, um Menschen davon zu überzeugen, dass mensch nicht ganz allein ist in der großen weiten Welt - dass es eine ace Community gibt und viel mehr ace Menschen, als Allos glauben (wollen). Das kann aber ganz einfach so gesagt und anders gezeigt werden, statt falsche, veraltete und unnütze Zahlen ohne den notwendigen Kontext zu reproduzieren.

Das ist bei Weitem nicht alles, was zu diesem Thema gesagt werden kann, aber wir sind ja auch nicht hier, um Essays zu schreiben. Vermutlich inzwischen auch eher ein lauwarmes Thema, sooo häufig sehen wir die Zahl glücklicherweise nicht mehr.


Quellen:

Eunjung Kim: Asexualities and Disabilities in Construction Sexual Normalcy, in: Asexualities. Feminist and Queer Perspectives (2014)

Ela Przybylo: Asexual Erotics. Intimate Readings of Compulsory Sexuality (2019)


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