Was nützt uns Sichtbarkeit, wenn sie auf falschen Informationen beruht?
Ein Fazit zum Internationalen Tag der Asexualität 2022
CN: Arofeindlichkeit, Acefeindlichkeit, Sex
Der Internationale Tag der Asexualität (kurz: ITA) ist jetzt einen Monat her - und zu diesem Anlass wurden zahlreiche Infoposts rund um Asexualität auf verschiedenen und mitunter großen Social Media-Plattformen geteilt. Eine löbliche Entwicklung, keine Frage! Allerdings beinhalten diese nicht selten ... naja, grob falsche Informationen zum Thema, die mitunter großen Schaden anrichten können. Ein paar davon möchten wir hier vorstellen, damit wir sie in Zukunft nie wieder lesen müssen.
Vorab: ja, wir sind sauer. Das hier ist ein rant. Das hier ist kein Call-Out für bestimmte Kanäle, Medienschaffende und/oder Individuen, auch wenn wir einzelne Beispiele für unsere Kritik verwenden und diese belegen. Nachvollziehbarkeit und so. Die Links zu den zitierten Quellen sind am Ende zu finden.
1. Asexualität = Aromantik??
Beginnen wir mit der Annahme, dass Aromantik Teil des asexuellen Spektrums sei:
"Beispiele des asexuellen Spektrums - Demisexualität [...], Gray-Asexualität [...], Aromantisch" (IG-Post von ZDF heute)
Aromantik und Asexualität sind zwei unterschiedliche, voneinander unabhängige Orientierungen. Aromantik ist, wie der Name vermuten lässt, eine romantische Orientierung, während Asexualität eine sexuelle Orientierung ist - auch hier ist der Hinweis im Namen enthalten. Das bedeutet unter anderem, dass Aromantik NICHT Teil des asexuellen Spektrums ist! Aromantik ist Teil des romantischen Spektrums, während Asexualität Teil des sexuellen Spektrums ist. Da scheint der Ursprung der Irritation zu liegen, aber es ist eigentlich so einfach: romantische Orientierung ist nicht gleich sexuelle Orientierung, genauso wie Romantik nicht gleich Sex ist - und andersrum.
Auch wenn es durchaus vorkommt, dass diese beiden Orientierungen für Leute zusammenfallen oder nicht auseinander zu denken sind, ist romantische Anziehung nicht einfach und allgemeingültig sexueller Anziehung gleichzusetzen.
2. Was zur Hölle ist jetzt nochmal Asexualität?
Definitionsversuch gefällig?
"Als asexuell (ace) werden Menschen bezeichnet, die keine sexuelle Anziehung gegenüber anderen Personen verspüren." (IG-Post von 100% Mensch)
Versuche, Asexualität knackig und leicht verständlich zu definieren, gibt es wie Sand am Meer. Asexualität dabei auf ein kategorisches Niemals-Empfinden von sexueller Anziehung zu reduzieren, ist im besten Fall eine stark verkürzte Darstellung oder sorgt für Verwirrung - vor allem, wenn keine zwei Sätze später vom asexuellen Spektrum die Rede ist - und wird im schlimmsten Fall dazu verwendet, Menschen ihre Asexualität abzusprechen!
Ja, es gibt asexuelle Menschen, die nie sexuelle Anziehung zu anderen Menschen empfinden. Genauso gibt es auch asexuelle Menschen, die manchmal sexuelle Anziehung empfinden, oder gar relativ regelmäßig oder ausschließlich unter bestimmten Bedingungen!
3. Was asexuelle Menschen alles 'sehr wohl' und 'trotzdem' können
"Asexuelle [...] können sehr wohl in einer romantischen Beziehung leben, allerdings ohne sexuelles Verlangen." (IG-Post von 100% Mensch)
Diese Formulierung reproduziert normative Annahmen über Asexualität. Zum einen wird hier die stark amatonormative Annahme reproduziert, dass romantische Beziehungen notwendigerweise sexuell zu sein hätten. Zum anderen wird hiermit asexuellen Personen automatisch und allgemeingültig sexuelles Verlangen abgesprochen.
[Was zur Hölle ist der Unterschied zwischen sexueller Anziehung und sexuellem Verlangen? Hier entlang!]
Noch ein Beispiel:
"Sexuelles Verlangen kann jedoch vorhanden sein (Selbstbefriedigung). Auch körperlicher Kontakt (z.B. Kuscheln, Küsse) ist nicht ausgeschlossen, hat jedoch keine sexuelle Bedeutung." (IG-Post von 100% Mensch)
Auch hier wird sexuelles Verlangen von asexuellen Personen allgemeingültig abgesprochen und allenfalls auf Selbstbefriedigung reduziert. Dass nicht wenige asexuelle Personen durchaus und mitunter starkes sexuelles Verlangen empfinden, lässt sich dem Ganzen nicht entnehmen.
Führen einige asexuelle Personen romantische Beziehungen ohne jegliche sexuelle Komponente? Klar!
Gibt es asexuelle Personen, für die sexuelles Verlangen eine (große) Rolle in ihren romantischen Beziehungen spielt? Klar!
Sind asexuelle Menschen alle ein bisschen unterschiedlich und allgemeingültige Aussagen in irgendeine Richtung daher immer ungünstig, da schlicht falsch? Yep!
4. Warum wird Aromantik so oft anders definiert?
Beinahe egal, wie Asexualität definiert wird - bei Aromantik ist es anders.
"A_romantik - wenn man sich nicht verlieben und/oder keine romantischen Beziehungen eingehen will/kann." (IG-Post vom feministischen Kollektiv Mainz)
Im hier genannten Beispiel wurde Asexualität weiter oben definiert als: "Eine a_sexuelle Person fühlt keine oder wenig sexuelle Anziehung zu anderen Menschen. [...] A_sexualität heißt nicht, dass eine Person keinen Sex hat." Dadurch wird suggeriert, dass für Aromantik (zumindest teilweise) andere Maßstäbe gelten würden als für Asexualität. Während Asexualität hier nämlich basierend auf Anziehung erklärt wird, wird Aromantik munter auf Handlung (bzw. Nicht-Handlung) reduziert. Dabei gilt attraction ≠ action halt auch hier - es gibt nämlich durchaus aromantische Menschen, die sich verlieben können und/oder möchten und auch solche, die romantische Beziehungen eingehen (möchten).
"Asexuell sind Menschen, die wenig oder keine sexuelle Anziehung fühlen, während 'aromantisch' Menschen ohne oder mit gering ausgeprägtem romantischen Begehren beschreibt." (Artikel in Siegessäule April 2022)
Hier fällt es vielleicht weniger auf, aber: Auch hier wird Asexualität auf Basis von Anziehung erklärt - Aromantik auf Basis von Begehren.
Jetzt ist es durchaus nicht so, dass alle Menschen zwischen Anziehung und Begehren einen Unterschied machen oder empfinden - geben tut es ihn aber. Und er ist wichtig!
Ach ja, und dass "aromantisch" hier in Anführungszeichen gepackt wurde, "asexuell" aber nicht, fällt uns auch nicht direkt positiv auf ...
5. sex-zugeneigt vs. sex-positiv
"Generell wird unterschieden zwischen Asexuellen die Sex abstoßend finden (sex-repulsed), denen Sex schlicht egal ist (sex-indifferent) oder die Sex genießen (Sex-positive)." (IG-Post vom feministischen Kollektiv Mainz)
Ähm ... nein. Das Wort, das hier gemeint ist, ist "sex-favourable" (dt. etwa "sex-zugeneigt") - ein Wort, das sich wie "sex-repulsed" oder "sex-indifferent" auf persönliche Einstellungen und Präferenzen zu eigenen sexuellen Interaktionen bezieht. Sexpositivität hingegen ist ein politischer Begriff, der eine offene und unterstützende Einstellung zu sexueller Freiheit und Vielfalt beschreibt - keinen-Sex-haben inklusive.
Und wichtig zum Ausgangspunkt: Eine Person kann zeitgleich sex-repulsed und sexpositiv sein - und muss dafür nicht mal asexuell sein!
6. Ein fragwürdig binäres Spektrum
"Andere a_sexuelle Personen erfahren nur selten sexuelle Anziehung und stehen im Spektrum damit zwischen Allo- und Asexuellen Personen" (IG-Post vom feministischen Kollektiv Mainz)
Die Formulierung öffnet hier eine Binarität zwischen Allo- und Asexualität, die es so nicht gibt - und impliziert darüber hinaus, das das sexuelle Spektrum linear sei! Das ist eine grob vereinfachte Darstellung, die viele Ausschlüsse produziert.
7. Die Sache mit der Beeinträchtigung
Manchmal wird geschrieben,
"dass asexuelle Menschen nicht unter ihrer Sexualität leiden. Sie seien dadurch ja nicht beeinträchtigt." (IG-Post von ZDF heute)
Diese Formulierung impliziert, dass Beeinträchtigungen immer Leiden verursachen (müssten). Beeinträchtigungen jeglicher Art werden häufig negativ gewertet, was eine Form von Behindertenfeindlichkeit ist.
Außerdem ignoriert die Formulierung, dass asexuelle Personen durchaus Beeinträchtigungen erfahren können - mit und ohne Leiden -, zum Beispiel weil ihre Identität von der breiten Gesellschaft, den Medien und nicht selten auch von Personen in ihrem direkten Umfeld abgesprochen, verspottet und/oder bemitleidet wird. Asexuelle Personen werden durch Acefeindlichkeit beeinträchtigt - auch wenn sie dies vielleicht gar nicht bemerken oder es sie nicht so sehr stört.
Fazit
Sichtbarkeit ist notwendig dafür, Leute über Asexualität zu informieren. Gerade darum ist es wichtig, sowohl klar verständliche als auch nuancierte Informationen über eine viel zu wenig bekannte sexuelle Orientierung zu verbreiten.
Danke für's Lesen!
Quellen: