Rezension zum Kapitel „A+: A_sexual“ aus dem Buch „Queergestreift: Alles über LGBTIQA+“

24.05.2022

Kurze (haha, wir haben es versucht) und slightly ranty Rezension zum Kapitel "A+: A_sexual" aus dem Buch "Queergestreift: Alles über LGBTIQA+" von Kathrin Köller und Irmela Schautz, erschienen 2022 bei Hanser.


Disclaimer: Wir haben nur dieses eine Kapitel und das Inhaltsverzeichnis gelesen und schreiben aus Sicht von aroace Personen, die ein Sachbuch über Aromantik & Asexualität geschrieben haben und derzeit an einem Buchprojekt zu Aromantik beteiligt sind. 

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Punkt 1: Der Titel ("A+: A_sexual")

Da fängt es ja direkt schon an: Das A in queeren Akronymen wie etwa LGBTQIA+ steht für queere Orientierungen & Identitäten, die mit A beginnen - darunter unter anderem (!) Asexualität, Aromantik, agender oder Aplatonik.

Vor allem Aromantik und Asexualität werden, wenn beide gemeint sind, häufig unter dem Begriff Aspec (von A-Spektren) zusammengefasst. Aromantik ist kein Teil oder gar eine 'Unterkategorie' von Asexualität, sondern eine eigenständige Orientierung und verdient es, nicht nur unter "A+"* oder "A_sexual" mitgemeint zu sein.

*soweit wir wissen, wird das + aus LGBTIQA+ eher als ein eigenständiges Zeichen verstanden und idR stellvertretend für queere Identitäten angefügt, die von den aufgelisteten Buchstaben nicht repräsentiert werden, und um das Akronym für Label zu öffnen, die noch hinzukommen können.

Aber wie gesagt, wir kennen nur dieses Kapitel; vielleicht legt das Buch ja den Fokus auf sexuelle Orientierungen und lässt romantische Orientierungen komplett aus. 


Punkt 2: "A steht nämlich für Ace." (S. 254)

Nein. Also, ja, unter anderem halt (siehe oben), aber darauf wird hier in keinster Weise hingewiesen. Hört mal @ImmerMensch zu:

"Die Erasure, die durch queere Personen über alle Labels unter dem A abseits von Asexualität geschieht, sollte bedeutend häufiger thematisiert werden. Es kann nicht angehen, dass Aromantik nur sporadisch erwähnt wird und alles darüber hinaus sogar so gut wie nie."


Punkt 3: "Asexuell ohne Unterstrich umfasst nur asexuelle Personen im engeren Sinne." (S. 254)

Nein. Nein nein nein. Manche Leute schreiben "a_sexuell", andere schreiben "asexuell", wieder andere schreiben "ace" oder "a*sexuell".

Alle Schreibweisen können exakt das Gleiche meinen und alle Schreibweisen können sowohl auf das große, breite Spektrum an asexuellen Identitäten verweisen als auch ein individuelles Label sein, das eine Person verwendet, um sich selbst auf diesem Spektrum zu verorten.

Ja, der Unterstrich soll in der Regel verdeutlichen, dass Asexualität eben nicht nur 'niemals sexuelle Anziehung empfinden und / oder niemals Sex haben wollen' bedeutet, aber er soll das eben nur verdeutlichen.

Das bedeutet nicht, dass das Spektrum automatisch nicht-(mehr-)mitgemeint ist, wenn der Unterstrich nicht verwendet wird.

Genau das Gleiche gilt übrigens, mit Blick auf die späteren Seiten, auch für Aromantik!


Punkt 4: Pathologisierung von Zölibat??

Es ist durchaus wichtig, Asexualität als sexuelle Orientierung von Zölibat als gewählte Handlung (bzw. Nicht-Handlung) zu unterscheiden. Aber muss darauf wirklich der Satz folgen: "Das [Zölibat] kann eigentlich nicht wirklich gut gehen und macht krank" (S. 256)??

Menschen sind aus den unterschiedlichsten Gründen zölibatär und nicht alle davon sind aus einem 'krankmachenden Zwang' heraus. Und ja, auch Aces können durchaus im Zölibat leben (vielleicht zu nuanciert für ein einführendes Kapitel).

(Zudem schmeckt dieser Punkt unterschwellig nach 'Sex ist gut und gesund und es ist auf jeden Fall besser, nicht darauf zu verzichten' was sowohl acefeindlich als auch ableistisch ist.)


Punk 5: Oh süßer Allozentrismus

Beim a_sexuellen Dating wird betont, wie wichtig es ist, etwaige Datingpartner*innen direkt über die eigene Asexualtität zu informieren "damit die andere Person sich nicht fragt, ob mit ihr was nicht stimmt" (S. 295), weil es keinen/wenig Sex gibt.

Die von der Norm abweichende Person soll sich also sofort erklären, sie ist ja schließlich diejenige, die nicht 'normal' ist. Hinterfragen der eigenen Allonormativität nicht nötig. Es mag für einige bahnbrechend sein, aber der Komfort von allo Personen geht nicht immer vor :)


Punkt 6: Amatonormativität existiert nicht nur im Kontext von Aromantik

Der Begriff Amatonormativität wurde von der Philosophin Elizabeth Brake geprägt und ausführlich erklärt. Sie beschreibt Amatonormativität als die Erwartungshaltung, dass alle Menschen früher oder später eine exklusive (d.h. monogame), amouröse (d.h. romantische und sexuelle), zentrale (d.h. wichtiger als alle anderen) Langzeitbeziehung eingehen werden sowie die (Re-)Produktion gesellschaftlicher Strukturen auf Basis dieser Erwartungshaltung.

Zu schreiben, "Amatonormativität beschreibt die Erwartungshaltung, dass alle Menschen sich unbedingt verlieben und eine romantische Beziehung haben wollen" (S. 259), ist nur dann richtig, wenn "romantische Beziehung" automatisch mit Dingen wie Monogamie, sexueller Intimität und Beständigkeit, z.B. durch Ehe gleichgesetzt wird.

Mehr zu Amatonormativität auf Twitter oder auf diesem Blog.


Punkt 7: QPRs

QPRs als "queerplatonische Freundschaften" zu bezeichnen, halten wir für schwierig, weil sie eh schon als 'nur Freundschaften' missverstanden werden. Außerdem steht das R in QPR für relationship, also für Beziehung.

Das ist ein viel offener und damit sinnvollerer Begriff für eine Beziehungsform, deren Anspruch es ist, immer wieder ganz individuell ausgehandelt zu werden und die sich allein deswegen einfach nicht definieren lässt.


Punkt 8: "AroSpAceSpektrum" (S. 263) und "AroSpAce-Community" (S. 272)

Dieser Begriff ("AroSpAce") wird dreimal erwähnt und nie erklärt - was soll das sein? Steht das "Sp" für "Spektrum"? Warum ist es dann nicht "AroSpAceSp-Community"? Wir haben so viele Fragen; beantwortet sie uns gern! /honest


Punkt 9 (jetzt wird es langsam nitpicky, passt auf): Non-Aces?

Das Wort allosexuell wird im Text erklärt (S. 256), also warum allosexuelle Personen die ganze Zeit als Non-Aces bezeichnen? Wird dann wenigstens an anderer Stelle auch von non-queer und non-trans geschrieben?


Punkt 10: Selbstgeißelung

CN: Arofeindlichkeit

"Beziehungsunfähig, egozentrisch, nicht begehrenswert oder schön genug, das sind nur ein paar der Wörter, mit denen Aros sich geißeln" (S. 261). Das stößt einfach unschön auf, weil es so klingt, als sei der Schmerz und die Unsicherheit, die aro Diskriminierung auslößt, selbstgewählt und aktiv - auch wenn direkt danach erklärt wird, das Aros gesellschaftlich vermittelt wird kaputt zu sein und das die Gefühle daher stammen (können).


TLDR:

Einführende und leicht verständliche Werke, die Aromantik & Asexualität beinhalten und einer breiteren Masse näherbringen, sind unglaublich wertvoll - es wäre nur für alle angenehmer, wenn dabei keine falschen Informationen und bestehenden Normen verbreitet würden.

Den Untertitel "Alles über LGBTIQA+" finden wir zu viel versprochen (wer hätt's gedacht), da allein im Kapitel zu Asexualität (mit einem kleinen Ausflug zu Aromantik) aus unserer Sicht offensichtliche Dinge fehlen.


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